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Begutachtung

Das Begutachtungskonzept von von J. C. Bruck zur Beurteilung von Funktionseinschränkung, Hautqualität, somato-vegetativen Beschwerden und mehr (LuFu, Augen, Ohren …)

Prof. Dr. Dr. med Johannes C. Bruck, Berlin

Die Auswirkung der Verbrennung auf die Haut

Die Verbrennung ist ein schweres, den ganzen Organismus in Abhängigkeit von der Ausdehnung des verbrannten Gewebes beeinträchtigendes Ereignis und mit einem Polytrauma nicht zu vergleichen.

Als Folgen der Verbrennung verbleiben ausgedehnte Vernarbungen der Haut und des Unterhautfettgewebes nicht nur im Bereich der verbrannten Areale, sondern auch im Bereich der Entnahmestelle von Spalthauttransplantaten, die zur Deckung benutzt wurden (Tabelle 1).

Tabelle 1: Folgen der Verbrennung

  • Temperaturregulation beeinträchtigt
  • Sensibilität gestört
  • Elastizität fehlt
  • Gleitfähigkeit auf Muskeln und Sehnen reduziert. Hautanhangsgebilde fehlen.

Die physiologische Narbenschrumpfung führt im weiteren Verlauf einerseits zu mehr oder minder ausgeprägten Narbenkontrakturen, andererseits im Bereich der Epithelisation von Granulationsgewebe zu Narbenhypertrophien. Beide können in der Abhängigkeit von ihrer Lokalisation und ihrer Ausdehnung erhebliche funktionelle Auswirkungen haben, die nach der Neutral-O-Methode erfassbar sind.

Unter Berücksichtigung von funktionellen und ästhetischen Gesichtspunkten stellt jedes transplantierte Areal eine Minderung der Lebensqualität dar:

Diese Aspekte verdienen in ihrer Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit und die Lebensqualität ebenso wie funktionelle Beeinträchtigungen Berücksichtigung im Rahmen der Begutachtung. Begutachtet werden darüber hinaus nicht nur die

Folgen der Verletzung sondern auch die der Behandlung (z.B. Tracheomalazien, Thrombosen, Infektionen durch Blutkonserven u.ä.). Gegebenenfalls müssen ophthalmologische, otolaryngologische, neurologische, internistische oder pulmologische Zusatzgutachten eingeholt werden (Tabelle 2).

Tabelle 2: Begutachtet werden

  • Funktionseinschränkung
  • Hautqualität
  • Somato-vegetative Beschwerden
  • Andere (LuFu, Augen, Ohren …)

Die Folgen thermischer Schäden auf der Haut sind in erster Linie direkt abhängig von der Höhe und der Dauer der Temperatureinwirkung (z. B. Verbrühung bekleideter Areale). Die Entwicklung der Narben steht jedoch in einem engen Zusammenhang mit der Gesamtausdehnung der Verbrennung und der zur Transplantation zur Verfügung stehenden Spenderareale, der Lokalisation (Gesicht, Hände, Füße, Perineum), der möglichen Therapie in Abhängigkeit von Zeitpunkt und Art des Debridements und nicht zuletzt der Qualität der Pflege der Transplantate und Entnahmestellen.

Ziel des modernen Hautersatzes ist: ein möglichst frühzeitiges Debridement, in Abhängigkeit von der Dauer der Schockphase und Gesamtausdehnung tangential oder epifaszial und möglichst innerhalb der ersten 72 Std. nach dem Trauma. Dies gilt heute auch für tief zweitgradig verbrannte Areale mit dem Ziel, die Entstehung von Granulationsgewebe und Infektionen zu verhindern und rasch einen definitiven Haut- und Epithelersatz herzustellen.

Zeitpunkt und Auswahl der rekonstruktiven Maßnahmen sind neben der Qualität und Konsequenz (Wochenende!) krankengymnastischer und ergotherapeutischer Übungsbehandlung maßgeblich am Langzeitergebnis der Behandlung Brandverletzter beteiligt.

Die Epithelisation von Granulationsgewebe führt zwingend zur Ausbildung hypertropher Narben, die funktionell behindern, stark jucken und über Gelenken meist instabil und im Langzeitaspekt karzinogen sind.

Dies zu vermeiden rechtfertigt das Bestreben, auch bei Verbrennungen H. Grades die Reepithelisation frühzeitig chirurgisch herbeizuführen und die Züchtung von Granulationsgewebe unter allen Umständen zu vermeiden.

Psychosoziale und vegetative Folgen

Wie schwerwiegend ein Verbrennungsunfall in das Leben des Kranken und seiner Umgebung eingreift, konnte in einigen wenigen retrospektiven Studien nachgewiesen werden. 51 % befragter Patienten einer eigenen Untersuchung gaben 6 oder mehr Beschwerden und Behinderungen aus einem Fragenkomplex von 33 Möglichkeiten an. Die häufigsten der angegebenen Beschwerden sind in den am Ende des Kapitels angegebenen Leitfaden aufgenommen worden.

Sie zu berücksichtigen soll helfen, der posttraumatischen Allgemeinsituation brand verletzter Patienten gerechter zu werden. Die angegebenen Behinderungen stehen interessanterweise weniger mit der Lokalisation der Verbrennung (z.B. Gesicht, Hände) als vielmehr mit der Gesamtausdehnung, der Zahl der Operationen und der Dauer des Krankenhausaufenthaltes in Beziehung. Ein geschlechtsbezogener Unterschied konnte nicht gefunden werden. Lediglich eine Suizidtendenz konnte _r bei Männern nachgewiesen werden. Die sozioökonomischen Folgen der Brandverletzung zeigten sich daran, dass 39,2% der vor dem Unfall berufstätigen Kranken eine Beeinträchtigung ihrer Arbeitsfähigkeit im Sinne eines Arbeitsplatz oder Berufswechsels oder einer Berentung mit durchschnittlich 51 % MdE hinnehmen mussten; dies, obwohl die durchschnittliche Ausdehnung der Verbrennung in diesem Kollektiv mit 25% verbrannter Körperoberfläche noch nicht unter den Begriff "schwerstbrandverletzt" fällt.

Ein enger Zusammenhang besteht allerdings zwischen Anzahl der operativen Eingriffe und Zeit bis zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einerseits und dem Ausmaß und der Mitarbeit an krankengymnastischen Therapiemaßnahmen andererseits.

Die Zerstörung der Haut stellt die äußere unmittelbare Folge nach thermischer Schädigul1g, Verbrennung oder Verbrühung dar. Demzufolge ist der Brandverletzte häufig sichtbar stigmatisiert. Bedingt durch Spontanheilung mit Ausbildung von hypertrophen Narben durch die Epithelisation von Granulationsgewebe oder nach Defektdeckung durch Spalthauttransplantationen entstehen bleibende Veränderungen des Integumentes. Ab tief zweitgradigen Läsionen ist eine Restitutio ad integrum ausgeschlossen. Narbenzüge oder Irrmobilisierung können zu Bewegungseinschränkungen führen, die wie nach Traumatisierungen des Bewegungsapparates zu begutachten sind. Bei schweren Verbrennungen kommt es gelegentlich zu fast kompletten Einsteifungen insbesondere der Ellenbogen und Schultergelenke, die durch gelenknahe Knochenappositionen (ektope Ossifikationen) bedingt sind. Röntgenaufnahmen sind zur ursächlichen Klärung notwendig.

Aber auch ohne Bewegungseinschränkung der Gelenke, die nach der Gliedertaxe erfasst werden, können Narbenbildungen zu erheblichen Beschwerden führen. In ihrer Beurteilung liegt die Hauptaufgabe des Gutachters von Verbrennungsfolgen (s.u.).

Die Begutachtung

Zeitpunkt der Begutachtung

Grundlagen der Begutachtung sollen sein:

Die Narbenfläche oder der Narbenstrang muss in Ausdehnung, Qualität und Lokalisation bewertet werden. Narbenbildungen im Gesicht oder an den Händen können auch ohne funktionelle Beeinträchtigung zur Berufsunfähigkeit führen. Psychovegetative Komponenten sollen berücksichtigt werden.

Die Ausdehnung der Narbe wird auf die Körperoberfläche bezogen. Hier kann die Neuner-Regel nach Wallace - ein Arm macht 9% der Körperoberfläche, ein Bein 2 x 9 = 18%, der Rumpf vorne 2 x 9 = 18%, -der Kopf 9% aus - angewandt werden. Eine weitere Hilfe zur Abschätzung der Ausdehnung bildet die Kenntnis, dass eine Handfläche des zu Begutachtenden 1 % seiner Körperoberfläche entspricht.

Begutachtet man die Qualität einer Narbe, so achtet man auf Pigment- oder Texturveränderungen, wie sie nach sogenannten Gittertransplantaten nicht zuletzt in Abhängigkeit von der Expansionsrate auftreten. Narbenstränge werden berücksichtigt. Ferner ist auf lnstabilitäten, Atrophien im Narbenbereich und auf überschießendes Narbenwachstum zu achten.

Zur Vereinheitlichung der Bewertung des Lokalbefundes schlagen wir das unten wiedergegebene Schema vor, das nach Absprache mit Fachgesellschaften (DGV, Deutsche Gesellschaft für Verbrennungsmedizin) Anhaltspunkte zur Begutachtung bieten soll.

Tabelle 3: Bestimmung der MdE für Brandverletzte

Tabelle 3: Bestimmung der MdE für Brandverletzte
Tabelle 3: Bestimmung der MdE für Brandverletzte
Download der Tabelle im PDF-Format (ca. 16 kb):

([e] modifiziert nach H.v. Donnersmarck, Hörbrandt: Jahrbuch der Versicherungsmedizin 1995).

Es wird also zunächst die MdE aus der Funktionseinschränkung ermittelt [A]. Zur Bewertung des Lokalbefundes wird ein Faktor Q mit der Ausdehnung der Narbenfläche je nach Narbenqualität multipliziert [B].

Faktor Q berücksichtigt die Lokalisation: Bei Narben im Gesicht und an den Händen beträgt er 5,_im Einzelfalle bis zu 10. Finden sich die Narben an der Brust und an den Armen, erfolgt die Multiplikation mit 2.

Darüber hinaus sind die unter [C] angegebenen psychovegetativen Beschwerden zu berücksichtigen. Diese Punkte sollten nicht einzeln abgefragt werden. Man achte nach der allgemeinen Frage nach Beschwerden auf diese Nennungen. Um auch hier eine gewisse Quantifizierung zu erreichen, belegen wir die Nennungen mit einer Punktzahl. Bei 1 und 2 Nennungen geben wir 5 Punkte, bei 3 bis 5 Nennungen 10 Punkte und bei mehr als 5 Nennungen 20 Punkte. Durch diese Gewichtung wird die Nennung vieler Punkte aus dem psychovegetativen Formenkreis relativiert, ohne dass sie unberücksichtigt bleiben.

Wir addieren die Punktzahl aus den Nennungen psychovegetativer Beschwerden [C] zur ermittelten Punktzahl aus dem Teil [B] (Ausdehnung und Narbenqualität) multipliziert mit dem Faktor Q, der die Lokalisation berücksichtigt. Die Ermittlung der MdE [B]+[C] ergibt sich nach der dargestellten Tabelle aus der Summe der Punkte aus [B] und [C].

Die so ermittelte Teil-MdE wird dann der MdE aus [A] zugerechnet, die sich aus Bewegungseinschränkungen, Amputationen und sonstigen Unfallfolgen ergibt.

Da dieses Schema zunächst unübersichtlich erscheint, soll es an einem Beispiel erläutert werden:

Der zu Begutachtende zeigt eine flächenhafte Narbe auf der Wange von 0,5% Ausdehnung mit Pigment-, ohne Texturveränderungen, Narbenstränge oder Instabilität 0,5% x 3 = 1,5
Q = 5; 1,5 x 5
= 7,5
Den gesamten Handrücken und die Streckseite der Langfinger (1% der KOF) bedeckt eine Narbenfläche mit einzelnen Narbensträngen 1% x 2 = 2
Q = 5; 2 x 5
= 10
Dazu kommt eine Narbenfläche von 5% am Thorax mit instabilen Arealen 5% x 3 = 15
Q = 2; 15 x 2
= 30
  Summe = 47,5

Nennt der Patient dann noch Juckreiz, Kälteempfindlichkeit und Wärmeüberempfindlichkeit (3 Nennungen = 10 Punkte), so erreicht er eine Gesamtpunktzahl von 57,5. Aus der Tabelle resultiert - auch ohne funktionelle Einschränkungen - eine MdE von 20% (s.o.).

Bei sorgsamer Betrachtung dieses Punktesystems lässt sich erkennen, dass so Überbetonungen im Aspekt vermieden werden und realistische Begutachtungen resultieren. Das Schema soll helfen, im Rahmen der sonst sehr subjektiven Beurteilung von Narben zu einer einheitlichen Begutachtung zu gelangen.

Neben diesen lokalen Unfallfolgen sind alle mittelbaren Unfallfolgen, die sich aus dem Gesamtbild der Verbrennungskrankheit, einem Inhalationstrauma sowie den Folgen der Intensivbehandlung ableiten lassen ebenso als mittelbare Unfallfolge zu berücksichtigen, wie während der Behandlung aufgetretene Komplikationen.

von J. C. Bruck

Literatur

[1] Bruck JC et al. (1985) Psychosoziale Nachuntersuchung bei Brandverletzten. Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plast. Chir. 17 S. 343-346.

[2] Bruck JC, Grabosch A (1996) Die Begutachtung des Brandverletzten, in: Die ärztliche Begutachtung, 6. Auflage, E. Fritze (Hrsg), Steinkopfverlag, Darmstadt

[3] Hörbrand F, Mühlbauer W, Henckel v. Donnersmarck G (1995) Zustand, Lebensweise und psychologische Aspekte von Brandverletzten, in Jahrbuch d. Verbrmedizin 99 ff


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