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Schicksalsbericht Kalle Schaa

Der mühselige Weg zurück ins Berufsleben.

Am 2. August 2004 war ich mit Freunden unterwegs, um meinen neuen Job zu feiern. Wir hatten schon ein paar Bierchen getrunken und wollten im Freien am offenen Feuer noch etwas grillen. Darum hatte ich mir an einer Tankstelle einen Brandbeschleuniger besorgt, den ich in meiner Jacke in der Innentasche trug, denn das Holz war nass, da es nieselte.

Auf dem Weg zu dem Ort, wo wir feiern wollten, musste ich austreten und ging ins Gebüsch, wo ich auf dem glitschigen Boden ausrutschte und hinfiel. Fluchend rappelte ich mich wieder auf und reinigte mir die Hände an meiner Hose. Dann nahm mir eine Zigarette und zündete sie an.

Doch anstatt der Zigarette ging ich selber in Flammen auf. Beim Sturz war die Flasche mit dem Brandbeschleuniger aufgegangen, was ich nicht bemerkt hatte. Ich weiß nur noch, dass ich brennend aus dem Gebüsch rannte und schrie:

Hilfe, ich brenne! Ab da ist Filmriss.

Irgendwann bin ich dann im Brandwunden Zentrum Köln, Meerheim aufgewacht. Natürlich erfuhr ich das erst später. Wach wurde ich mit einem Albtraum, den ich hier nicht wiedergeben möchte. Als das Bewusstsein mehr und mehr zurück kam, merkte ich, dass ich nicht sprechen konnte. Das stellte für mich ein sehr großes Handicap dar. Dann das zweite Handicap: Ich konnte mich nicht bewegen.

Was macht ein starker Raucher, der nicht reden kann, Schmacht auf eine Zigarette hat und nicht aufstehen beziehungsweise nicht laufen kann?

Nun in meinem Fall nichts!

Ich war ja so gesehen den Pflegerinnen und Pflegern ausgeliefert. Aber okay, ich habe mich ja einigermaßen revanchiert. So schnell werden das Personal in Köln mich dort nicht vergessen, denn meine Willenskraft war zu diesem Zeitpunkt schon sehr stark. Ich wollte zum Beispiel nie auf der linken Seite liegen. Ich weiß auch nicht warum. Denn normal liege ich sehr viel auf der linken Seite, es lag wahrscheinlich daran, dass ich mich nicht selber drehen konnte. Nun gut, damit ich mich aber nicht wund liege, musste ich gedreht werden. Es hat keine zehn Minuten gedauert, bis ich das Kissen hinter meinem Rücken vor holte und wieder auf dem Rücken lag. Die Schwestern waren davon nicht so begeistert.

Es bleibt eigentlich nur noch zu berichten, dass ich dann endlich ein Datum erfuhr und zwar den Tag, an dem ich zum ersten Mal von zwei Schwestern über den Flur geführt wurde. Das war am 6.12.2004, von da an habe ich auch meine Zeitrechnung wieder.

Reha in Bad Griesbach

Sechs Tage später wurde ich dann in die Reha-Klinik "Passauerwolf" in Bad Grießbach gebracht. Dort empfing mich eine Ärztin mit den Worten "Wir werden 6 Monate, wahrscheinlich sogar länger brauchen." Nun, sie kannten weder mich noch meinen Willen.

Ich kam am 12.12.2004 liegend in die Klinik und konnte meine Hände nur wenig bewegen. Am 12.03.2005 habe ich sie wieder verlassen, und zwar laufend am Stock. Und nicht wie die Ärztin meinte, erst in sechs Monaten oder noch später.

Nun über die Reha kann ich eigentlich nicht viel sagen. Ich habe an alle Maßnahmen teilgenommen und immer vor Augen gehabt, dass ich irgendwann wieder arbeiten gehen und einigermaßen normal leben möchte.

Das war immer meine Kraftquelle und sie ist es noch immer.

Nach meiner Entlassung zu meiner Mutter gezogen und wurde Mitglied bei CICATRIX. Dort habe ich von Anfang an als regionaler Ansprechpartner aktiv mitgearbeitet.

Am Anfang war es schwer, weil mir jeder selbst kleinste Verrichtungen abnehmen wollte. Aber das wollte ich nicht. Es war nicht einfach, jedem erst mal klar zu machen, dass es genau der verkehrte Weg ist, mir alles aus der Hand zu nehmen. Es hat gedauert, aber mein soziales Umfeld hat es schließlich akzeptiert.

Ich habe dann im Laufe der Zeit 10 Korrektur-Operationen durchführen lassen, damit ich mich besser bewegen kann. Immer mit dem Ziel vor Augen, später wieder einmal arbeiten gehen zu können. Mittlerweile hatte ich auch meinen Schwerbehindertenausweis mit 80% und dem Merkzeichen "G" erhalten.

Nachdem ich merkte, dass ich wieder autonom leben kann, suchte ich mir eine eigene Wohnung. Das war möglich durch staatliche Zuschüsse zum Lebensunterhalt. Mein EU-Rentenstatus wurde zwar anerkannt, aber zur Auszahlung einer Rente kam es nicht, da ich in den letzten fünf Jahren vor meinem Unfall nicht 36 Monate versicherungspflichtig in Deutschland, sondern in Holland, gearbeitet hatte. Die Jahre im Ausland wurden nicht anerkannt. So ging die Zeit für mich sehr langsam vorbei, weil ich ja immer 3 Monate bis zur nächsten OP warten musste.

Aber ich machte Fortschritte.

Zwar fiel mir das Laufen schwer, aber ich konnte wieder Fahrrad fahren und mit dem Alltag kam ich auch allein gut zurecht. Ich habe sogar mit Hilfe meiner Geschwister und meines Schwager meine neue Wohnung selber renoviert. Natürlich fiel mir die eine oder andere Arbeit da noch sehr schwer, aber ich wusste, dass ich nur so weiterkommen würde. Meine jetzige Lebenspartnerin lernte ich auch in dieser Zeit kennen.

Im April 2007 bin ich mit ihr nach Dresden gezogen. Nachdem wir uns dort eingelebt hatten und ich mich gut genug fühlte, beantragte ich im Jahre 2008 wieder die Aufnahme beim Arbeitsamt. Dazu ließ ich mir von meinem Hausarzt bescheinigen, dass ich in der Lage bin, mindestens drei Stunden am Tag oder sogar mehr arbeiten zu können.

Daraufhin bekam ich dann wieder Harz IV und nach einiger Zeit die erste gemeinnützige Arbeit. Und zwar wurde ich auf einem Sportplatz und einem Hockeyplatz als Platzwart eingesetzt. Dort stellte ich fest, dass ich trotz all meiner Behinderungen leichte Grab- und Malerarbeiten sowie Mähen, Laubfegen und was eben noch so anfiel, ausführen konnte. Ich wurde sogar nach Ablauf meiner Zeit weiter von den Plätzen angefordert. Das hat mich sehr gefreut.

Im Dezember 2009 kam dann endlich das amtsärztliche Gutachten vom Arbeitsamt.

Nun gut, laut diesem Gutachten darf ich nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten. Was oder welche Arbeit stand nicht dabei. Ich habe mich allerdings gefragt, ob der Arzt überhaupt überlegt hat, was er da geschrieben hat. Auf der einen Seite verbietet er mir alles, auf der anderen Seite sagt er aber, ich kann acht Stunden arbeiten gehen. Nun gut, mein Standpunkt in dieser Angelegenheit ist eh, dass nur ich selbst entscheiden kann, was ich mir zutraue und was nicht. Ein Arzt kann ja nur die Symptome, äußere Verletzungen oder Anzeichen beurteilen.

Nur ich kann beurteilen, wie ich mich fühle

Dazu folgendes Beispiel. Aufgrund meiner Epilepsie hat er zum Beispiel geschrieben: "Auszuschließen sind hohe Anforderungen an das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen". Was aber nun das Problem ist: Epilepsie ist eine Krankheit, die man mit Medikamenten gut unter Kontrolle bekommt. Trotzdem fahren sehr viele Epileptiker weder Auto noch Gabelstapler etc. und ein Arzt sollte dieses wissen. Was die anderen Dinge angeht: Nun, es gibt immer die Möglichkeit der Besserung, auch das hat der Amtsarzt übersehen.

Im Moment nehme ich an einem Erprobungspraktikum vom Arbeitsamt teil. Ich arbeite in einem Baumarkt im Bereich Wareneingang. Die Arbeitszeit beträgt 39 Stunden in der Woche. Und zwar Regale einräumen. Das heißt den ganzen Tag laufen (laut Amtsarzt ist dies nicht möglich). Waren einscannen erfordert ein hohes Maß an Konzentration, da ich die Waren ja auch richtig eingeben muss. Auch muss ich öfters auf Leitern steigen oder mich hinknien. Alles Dinge, die ich laut Amtsarzt nicht kann.

Aber bitte versteht mich hier nicht falsch! Ich will nicht sagen, dass ein Amtsarzt grundlegend Unrecht hat. Nein, nur jeder von uns fühlt selbst, in wieweit er sich was zutrauen kann.

Ich weiß nun, dass ich trotz meiner 85%igen Verbrennungen, meiner Epilepsie und meiner Lähmung in der Lage bin, ganz normal zu arbeiten. Okay, ich werde nicht mehr ganz so schnell laufen können wie früher. Aber ich kann meinen Job im Lager wieder machen.

Ich habe auch Probleme mit meinem Lymphsystem - aber okay - da muss man halt durch. Es geht doch schließlich darum, dass man trotz der Verbrennungen nicht aufgibt und versucht, ganz normal weiter zu leben. Ich versuche es auf jeden Fall weiter auf diesem Weg. Und ich fahre damit eigentlich auch ganz gut.

Natürlich stoße ich auch auf viele verständnisvolle Menschen, die mich voll und ganz akzeptieren. Auch auf der Arbeit. Aber ich werde deswegen nicht anders behandelt. Nein, ich muss auch meine Arbeit machen, nicht anders als meine Kollegen. Ich werde auch nicht dauernd gefragt: "Was hast du gemacht?" oder "Was ist passiert, du Ärmster?" oder so. Ich denke, dass ich, wenn ich das Praktikum hinter mir habe und dann hoffentlich wieder eine feste Arbeit finde, wieder ganz normal leben werde.

Oder besser gesagt, was man mit schweren Verbrennungen und anderen Behinderungen eben als ganz normal empfinden kann.


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